Wohnen

Wenn die Natur einzieht 

Aline Müller, Online-Editor 15. Mai 2024

Kann eine Wohnung in der Stadt vor lauter Natur nur so sprühen? Ja, das kann sie – wie im Zuhause von Juli und John. Das Paar hat sich mitten in Toronto einen Traum aus Holz und hellen Materialien geschaffen.

Strahlend schön! Die Natur ist die größte Künstlerin, wie die einfallende Sonne beweist. FOTO: Juli Daoust

Schon von außen sticht es heraus: In einer Reihe von roten Backsteingebäuden zieht das weiße Haus mit dem auffälligen Gipfel und den großen Fensterfronten alle Blicke auf sich. Auch Juli Daoust Baker und John Baker haben sich von diesem Haus verzaubern lassen, als sie vor ein paar Jahren durch Torontos hippen Stadtteil „The Junction“ (deutsch: Knotenpunkt oder Kreuzung) schlenderten. Auf Reisen hatte das Paar immer wieder die alten Fassaden in Europa bewundert. Und dann fanden sie in ihrer kanadischen Heimat – „wie durch Zauberhand“, sagen die beiden heute – den schönen Altbau, der ihr neues Zuhause werden sollte.

Die Sitzbank von Künstlerin Mira Nakashima ist das Herzstück des Wohnzimmers. FOTO: Juli Daoust

Mit einem Design Award prämiert

Doch bevor es so weit war, gab es einiges zu tun. Denn so herausgeputzt wie heute sah das Gebäude nicht aus, als Juli und John es entdeckten. In Zusammenarbeit mit dem lokalen Architekturbüro Studio Junction renovierten die beiden das denkmalgeschützte Haus vollständig – mit dem Traum im Hinterkopf, dass hier nicht nur ein Wohnhaus, sondern auch ein Arbeitsplatz entsteht. Das 1889 errichtete Gebäude wurde nach der erfolgreichen Renovierung sogar mit dem „Toronto Urban Design Award“ prämiert. Doch wichtiger als jede Auszeichnung: Juli und John fühlen sich heute pudelwohl in diesem einzigartigen Gebäude, das eine historische Fassade mit einem zeitgemäßen Inneren vereint. Im Erdgeschoss ist der Lifestyle- und Design-Shop des Paares mit Galerie zu Hause. Der schwedische Name „Mjölk“ des Ladens weist schon darauf hin, dass die beiden Kanadier ein Faible für Skandinavien haben. Im Shop selbst werden Werke skandinavischer Künstler von japanischen Objekten ergänzt. 

Gemütlichkeit auf zwei Etagen

Nun aber ab ins Apartment, dafür müssen nur ein paar Treppenstufen genommen werden. Denn direkt über dem Laden geht es schon ins Private. Auf zwei Etagen haben es sich Juli, John, ihre beiden kleinen Kinder und zwei gar nicht mal so kleine Hunde sehr gemütlich gemacht. Und natürlich ist auch dort die skandinavisch-japanische Designhandschrift deutlich zu erkennen. Helle Farben und natürliche Materialien sind die Hauptzutaten für eine Wohnung, die zu gleichen Teilen Freundlichkeit und Ruhe ausstrahlt. „Grundsätzlich betonen sowohl das nordische als auch das japanische Design die natürlichen Elemente“, erklärt Juli. „Bei beiden Designs gibt es ein großes Gespür für Licht und Schatten, Textur und Materialien.“ Auch die Idee einer Atempause oder eines Innehaltens werde in den beiden Design-Traditionen mitgedacht. „Ein Ort, an dem der geschäftige Geist zur Ruhe kommt“, beschreibt es die Kanadierin.

Lieblingsfarbe Blattgrün? Die riesigen Pflanzen sorgen für Farbkleckse und die Sonnenstrahlen scheinen durch die großen Fenster. FOTO: Juli Daoust

Spiel der Sonnenstrahlen

Große Fenster schaffen eine lichtdurchflutete Wohnung. Die Sonnenstrahlen spielen nur so auf dem hellen Douglasienboden. Juli sagt von sich, dass sie eine Stubenhockerin und ihr Nervensystem gern mal leicht überreizt sei. Deshalb brauche sie in ihrem Zuhause das natürliche Licht, ihre Familie um sich herum und einfach eine ruhige Atmosphäre. „Auch wenn das mit Haustieren und Kindern ein ständiger Kampf ist“, schmunzelt die zweifache Mutter. Generell haben Juli und John versucht, das Interieur relativ neutral zu halten, um dann durch gezielte Textilien etwas Farbe und Textur hineinzubringen. So werden zum Beispiel die Haptik des glatten Ledersofas im Wohnzimmer und vor allem die zahlreichen grünen Pflanzen-Farbtupfen zu tollen Hinguckern. „Wir haben uns für Stücke entschieden, von denen wir wussten, dass wir sie auf lange Sicht haben wollen. Klassiker aus natürlichen Materialien wie Weißeiche und Naturleder – Teile, die mit dem Alter Patina ansetzen und die Geschichte unserer Familie erzählen“, sagt Juli. Aber keine Sorge, das heißt nicht, dass in diesem Apartment Leere vorherrscht und es nichts zu entdecken gibt – ganz im Gegenteil. 

Antiquitäten und Lieblingsstücke

Denn besonders die Fensterbänke ähneln kleinen Museen mit allerhand Souvenirs, Antiquitäten und Lieblingsstücken. Beim Blick auf diese schönen Kleinigkeiten wird klar, dass man das Gebäude als Ganzes verstehen muss. Die Liebe zur Kunst hört nicht oberhalb der ersten Etage auf. Innen und außen sowie alle drei Etagen verschmelzen bei diesem Haus und seinen designvernarrten Bewohnern miteinander. Juli hat Kunstkuration und Fotografie studiert und wollte sich nach dem Studium weiter mit Design beschäftigen. Als sie John kennenlernte, traf sie auf einen Mann, der ihre Faszination teilte. Zusammen starteten die beiden nicht nur einen neuen Lebensabschnitt, sondern auch einen Design-Blog, auf welchem sie über Vintage-Objekte berichteten. Dieser sollte der Vorläufer ihres Shops sein, mit dem sie ihre Leidenschaft und Expertise aus dem Internet in die eigenen vier Räume holten. 

Voller Souvenirs – Sich in den Wohnräumen der Familie umzuschauen, heißt auch, auf Reisen zu gehen. FOTO: Juli Daoust

Inspiration Skandinavien

Die finale Inspiration für ihr Geschäft holte sich das Paar bei einer Reise nach Skandinavien. Der simple Name „Mjölk“ (Schwedisch für: Milch) sollte dann eine Hommage an das Design der ursprünglichen Arla-Milchverpackung sein. Die Tatsache, dass sie damit in gewisser Weise eine Milchtüte als Namenspatronin wählten, passt aber auch zum Konzept der beiden. Schließlich wollen Juli und John insbesondere Elemente mit einem Schwerpunkt auf Funktionalität, Handwerkskunst und Zeitlosigkeit präsentieren. „Wir lassen uns von unserem täglichen Leben inspirieren, um die Produkte zu finden, die wir anbieten. Wir sind der Meinung, dass selbst die einfachsten, alltäglichen Werkzeuge eine gewisse Schönheit besitzen“, beschreiben sie ihr Motto.

Ein offenes Konzept

Wie schön solche Alltagsgegenstände aussehen können, zeigt sich in der Küche der Familie. Die Töpfe auf dem obersten Regal und die kleinen Helfer an der Hakenleiste direkt über der Arbeitsfläche sind so wunderbar angeordnet, als wären sie wertvolle Ausstellungsstücke in einem Museum. Da verwundert es nicht, dass die Küche und vor allem der große Tisch der Ort ist, an dem die Familie die meiste Zeit gemeinsam verbringt. Die Küche befindet sich in der dritten Etage des Hauses, wo das offene Konzept auf die Spitze getrieben wurde: Küche, Ess- und Wohnzimmer gehen direkt ineinander über. Zwischen Küche und Wohnzimmer gibt es zwar eine Trennwand, aber durch diese lässt sich blicken.

Regalleisten mit Aussicht: Die großen Fensterfronten machen erfinderisch. FOTO: Juli Daoust

Ruhepol der Wohnung 

Im Gegensatz zum meist wuseligen Treiben auf der dritten Etage ist die zweite Etage wohl am ehesten der Ruhepol der Wohnung, welcher Juli so wichtig ist. In diesem Stockwerk befindet sich sowohl das Schlafzimmer der Eltern als auch das Kinderzimmer. Vor allem das Schlafzimmer sorgt mit einem schlichten Holzbett sowie wenig Schnickschnack für einen ruhigen, zurückhaltenden Look. Außerdem gibt es auf dieser Etage noch einen äußerst ungewöhnlichen Kniff: Alle Räume sind durch Holzschiebetüren miteinander verbunden. Spätestens jetzt sollte also klar sein, dass dieses Haus nicht nur von außen etwas ganz Besonderes ist.